Jahreslosung 2021
1. Januar 2021 von | Kommentieren
Jesus Christus spricht:
Seid barmherzig,
wie auch euer Vater
barmherzig ist!
Lukas 6,36
Die neue Jahreslosung für das Jahr 2021 aus dem Lukas-Evangelium macht mir Bauchschmerzen. Was für eine Überforderung. Da soll ich mich an einer göttlichen Tugend orientieren, ebenso barmherzig sein, wie Gott, der Vater ist? Wie soll das denn gehen? In vielen Predigten bekomme ich zu hören, dass ich noch mehr machen muss, mich noch mehr um andere kümmern, für andere da sein, und das, wo ich doch schon lange nicht mehr weiß, wie ich selbst noch zurecht kommen soll. Es ist eine Aufforderung, die sich für mich wie ein unbarmherziger Befehl anhört.
Und dann noch dieses schlecht greifbare Wort Barmherzigkeit. Das Wort Barmherzigkeit kommt vom althochdeutschen bi-armen und bedeutet, ein armes Herz zu haben, eines, das Erbarmen hat. Das hebräische Wort für Barmherzigkeit heißt Rachamim und bedeutet Gebärmutter oder Mutterschoß. Damit bekommt die Barmherzigkeit etwas von Wärme und Geborgenheit, in der Leben gedeihen, der Mensch wachsen und sich entfalten kann. Damit wird die schlecht be-greifbare Barmherzigkeit zu einer lebensspendenden Kraft, die Gott mir schenkt, um selbst zu wachsen. Damit wird die Aufforderung barmherzig zu sein zu etwas, das in mir ruht und aufwächst und nichts, das noch zusätzlich zu allen anderen Anforderungen an mir zieht und zerrt.
Die christliche Tradition kennt je sieben leibliche und geistige Werke der Barmherzigkeit, die als Hilfe bei existenziellen und situationsbedingten Nöten zu verstehen sind. Zu den klassischen leiblichen Werken der Barmherzigkeit gehört es unter anderem, Hungrige zu speisen, Nackte zu kleiden und Kranke zu besuchen. Zu den geistigen Werken der Barmherzigkeit gehört es, Trauernde zu trösten und für Lebende und Tote zu beten.
Das Bistum Erfurt hat vor einigen Jahren sieben Werke der Barmherzigkeit für heute formuliert. Einem Menschen sagen: du gehörst dazu, ich höre dir zu, ich rede gut über dich, ich gehe ein Stück mit dir, ich teile mit dir, ich besuche dich, ich bete für dich.
Viele Menschen engagieren sich, kümmern sich in den verschiedensten Bereichen und Einrichtungen um andere, schauen nach Freunden und Nachbarn und sind jederzeit bereit zu helfen, kümmern sich um die Hilfebedürftigen der Familie. All das ist sichtbare greifbare Barmherzigkeit. Eines wird dabei oft vergessen, die Barmherzigkeit für sich selbst. Aus einem leeren Brunnen lässt sich nicht schöpfen. Keiner muss alles tun. Die Aufforderung barmherzig zu sein geht an alle, an die Gesellschaft, die Nachbarschaft, die Gemeinde. Seid füreinander da, passt aufeinander auf.
Es ist offen, wer die beiden Personen auf meiner Gestaltung der Jahreslosung sind. Einer, der einen Kranken hält, einen Trauernden tröstet, jemanden in den heilsamen Schlaf wiegt, zärtlich einen Verstorbenen zum Abschied in den Armen hält. Oder ist es eine Darstellung ein und derselben Person, die sich selbst hält, sich Mut zuspricht, sich um sich selbst sorgt. Es ist ein zartes ruhiges Zwiegespräch, eine heilsame Nähe, die beiden Kraft gibt. Rechts eine Ranke, denn aus dieser stillen Zuwendung wächst Leben auf. Und zwischen den Farbfeldern zieht sich durch und über alles das Kreuz.