Nesteldecken, das sind aus verschiedenen reizintensiven Stoffen und Materialien zusammengefügte Patchworkdecken für demenziell erkrankte Menschen. Diese sind oft sehr unruhig mit den Händen, zupfen (nesteln) unaufhörlich an ihrer Kleidung herum, reißen sie kaputt, zerwühlen sich ihre Haar oder greifen nach allem, was sich in ihrer Reichweite befindet. Die Übertragung dieser Unruhe auf eine Nesteldecke kann beruhigend auf die betroffene Person und die Umgebung wirken.
Die Idee kommt aus den USA und England. Patchworkbegeisterte Frauen und Frauengruppen nähen aus bunten Stoffresten Decken oder auch Kissen zusammen und versehen sie mit unterschiedlichen zusätzlichen Elementen, wie Knöpfen, Reißverschlüssen, Schnüren und oftmals Kinderspielzeug. Über die Patchwork-Näherinnen kam die Idee der Nesteldecken auch nach Deutschland. Inzwischen gibt es eine ganze Anzahl, leider oftmals mehr gutgemeinter als gutgemachter Nesteldecken. Es gehört viel Recherche, Wissen und Erfahrungsaustausch dazu, eine wirklich gute Decke zu nähen.
Verschiedene Angaben und Anweisungen zur Gestaltung einer Nesteldecke halte ich persönlich für wenig sinnvoll oder entsprechen nicht meiner Einstellung zu den meist alten Menschen, für die solche Decken gearbeitet werden. Vor allem stört mich, wenn man nach dem Motto geht: »Der/die weiß eh nicht, was er/sie da bekommt, da ist es nicht wichtig, wie die Decke aussieht und ob da Kinderspielzeug drauf ist«. Die Decken werden für erwachsene Menschen gefertigt, die alle Achtung und allen Respekt verdienen. Auch der Gedanke, dass Nesteldecken gar nicht »schön« sein dürfen, weil dies Neid hervorruft, halte ich für absurd. Jeder Mensch sollte von möglichst schönen Dingen umgeben sein.
Im Gegensatz zu Decken, die einfach aus irgendwelchen vorhandenen Stoffresten zusammengenäht werden, sind meine Decken thematisch auf die Biografie des Empfängers ausgerichtet. Zum einen hat die Farbharmonie einen beruhigenden Effekt und strahlt eine elegantere Form von Schönheit aus, zum anderen ermöglichen die thematischen Decken einen viel weitreichenderen Einsatz. Mögliche Nutzung der thematischen/biografischen Decken:
- Für demenziell erkrankte Menschen, um die Unruhe der Hände auf die Decke umzulenken.
- Zur Beschäftigung und gegen Langeweile, zum Fühlen, zum Greifen, als Aufgabe.
- Zur Aktivierung, da die Decke Interesse und Aufmerksamkeit erregt. Die Wahrnehmung wird gezielt aktiviert und gefördert.
- Zum gezielten Einüben motorischer Fähigkeiten an Reißverschlüssen, Taschen und Knöpfen bei steifen Fingern oder Lähmungen wie nach einem Schlaganfall im Rahmen der Ergotherapie.
- Zur Kommunikation (auch mit den Angehörigen und Besuchern). Gerade bei Demenz bleibt das Langzeitgedächtnis lange erhalten, während das Kurzzeitgedächtnis schnell nicht mehr verlässlich ist. Da hilft die visuelle und haptische (greifbare) Erinnerung an Themen aus dem Leben des Betroffenen beim Gespräch.
- Zur nonverbalen Kommunikation, denn nicht nur Menschen mit Demenz verlieren ihre sprachlichen Fähigkeiten. Fühl- und Nesteldecken können z.B. auch die seelsorgerische Begleitung unterstützen.
- Zur Beruhigung und Integration in die Gruppe beim Liedersingen oder im Gottesdienst.
- Zum Spaß, zum Lachen, zur Freude, zum Anschauen, zum Erzählen.
Durch diese vielfältigen Einsatzmöglichkeiten, können die thematischen Nesteldecken auch für nicht demenziell erkrankte Menschen hilfreich und interessant sein. Die Themen der Decken können und sollten sich an der Biografie dessen ausrichten, für den die Fühl- oder Nesteldecke gefertigt wird. Vor allem Menschen mit Demenz aber auch verwirrte Menschen oder jene, die merken, wie das Gedächtnis und die Leistungsfähigkeit nachlassen, suchen nach Identität und Vertrautheit, die ihnen Sicherheit und Halt geben. Themen aus der Biografie, wie etwa Beruf und Hobby (Handwerkern, Nähen, Reisen) oder Herkunft (Norddeutschland – Strand, Leuchtturm) schaffen Vertrautheit, Ruhe und Freude.
In der Arbeit mit demenzkranken Menschen ist das oberste Ziel, dem Verlust der personalen Identität entgegenzuwirken, indem die Erinnerung möglichst lange aufrechterhalten wird. Durch Gespräche und Aktivitäten, die an die Lebensgeschichte erinnern, kann diese Identität und auch die Selbstachtung vor der eigenen Lebensleistung gestärkt werden. Durch Erinnerungspflege können Brücken geschaffen werden, sowohl zwischen Vergangenheit und Gegenwart als auch zwischen Jung und Alt, denn die Erinnerung ermöglicht Zugang und Nähe. Die Menschen erfahren Aufmerksamkeit, Anerkennung und Zuwendung. Erinnern kann Spaß machen, bietet Anlässe zum Lachen, Schmunzeln und Wohlfühlen. Durch das Befühlen und Betrachten von vertrauten Gegenständen kann ein anderer Zugang zu Menschen gefunden werden, die sich spontan nicht oder kaum äußern können. Nicht zuletzt kann die Kommunikation innerhalb einer Gruppe (Familie) gestärkt, soziale Kompetenzen eingeübt und ein Gruppen- und Zugehörigkeitsgefühl entwickelt werden.
Fühl- und Nesteldecken sind ein Therapiemittel und können für viele Menschen unterstützend, wohltuend, beruhigend und aktivierend sein. Sie können als Geschenk von Angehörigen speziell für einen bestimmten Menschen gefertigt und dabei sogar Elemente alter Dienstkleidung oder Hobby mit eingebracht werden. Nesteldecken können auch Eigentum des Heimes, z.B. für Aktivierungen, Gruppenstunden oder zur Ergotherapie sein und sogar zur Dekoration verwendet werden. Vorgestellt und eingeführt habe ich meine Nesteldecken im Feierabendzentrum des evangelischen Diakonissenhauses in Nonnenweier.